Warum ich gern evangelisch bin

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Warum ich gern evangelisch bin

# Neuigkeiten aus der Gemeinde

Warum ich gern evangelisch bin

Vier Redaktionsmitglieder zum Reformationstag

Freiheit und Choräle

Jürgen Wandel

Eine Woche nach meiner Geburt, am 3. Mai 1952, wurde ich getauft und damit auch rechtlich Mitglied der evangelischen Landeskirche. Und dabei ist es geblieben. Im Gymnasium war die Hälfte meiner Klasse römisch-katholisch. Ich beneidete die Mitschüler, die als Ministranten beim Gottesdienst mitwirkten. An der katholischen Messe gefiel und gefällt mir, dass nicht nur das Gehör zum Zuge kommt: Der wohlgeordnete Einzug des Priesters und der anderen Mitwirkenden und die farbigen Messgewänder erfreuen das Auge. Die Nase wird durch den Weihrauch einbezogen. Und wer sich bekreuzigt, berührt den Leib, verleibt sich sozusagen ein, was er betet und bekennt.

Und bei Rombesuchen faszinierte mich, dass Priester und Nonnen aus vielen Ländern das Straßenbild prägten. So erfuhr ich unmittelbar, dass die christliche Kirche im wahren Sinne des Wortes „katholisch“, sprich: universal ist.

Manche Freunde und Bekannte haben gefragt, ob ich jemals erwogen hätte, römisch-katholisch zu werden. Aber das war nie der Fall. Denn ich wurde - auch religiös - zur Freiheit erzogen. Die Verfassungen der evangelischen Landeskirchen ermöglichen Gewaltenteilung und Kontrolle von Macht. Bischöfinnen und Bischöfe werden von Synoden gewählt, die in der Regel zu einem Drittel aus Ordinierten („Geistlichen“) bestehen und zu zwei Dritteln aus Nichtordinierten („Laien“). Und kirchenleitende Personen müssen sich auch der Wiederwahl stellen.

Religionsunterricht und Theologiestudium befähigten mich, mir die christliche Überlieferung kritisch anzueignen. So setze ich die Bibel nicht mit dem Wort Gottes gleich, rechne aber damit, dass Gottes Wort durch sie immer wieder vernehmbar wird.

Und auch meine Frömmigkeit ist protestantisch grundiert: Mit Inbrunst singe ich die Choräle der Reformationszeit und der pietistischen Erweckung des 18. Jahrhunderts in Deutschland und England. Dabei berühren mich die Melodien mitunter stärker, als die Texte. Und wenn ein Posaunenchor spielt, bin ich völlig hingerissen.

Jürgen Wandel

Mündige Christen 

Es sind – die wahren oder vermeintlichen – Hammerschläge Luthers mit denen er seine 95 Thesen zur Reformierung der damaligen Kirche an die Tür der Schloßkirche schlug, die mich immer schon faszinierten.

Hammerschläge, die die damalige Welt komplett veränderten. Natürlich nicht nur Luther, sondern auch andere Reformatoren veränderten etwa zeitgleich die bestehende Welt-Ordnung. Es kam ein neuer Geist der Freiheit in die Welt. Das Wort, das Denken, die Besinnung auf die wahre christliche Botschaft waren von zentraler, neuer Bedeutung. Gegen eine allzu korrupte und angstmachende katholische Kirche.

Da ich in der DDR in einem evangelischen Pfarrhaus aufgewachsen bin, fühle ich daher als erstes sofort den für mich mit dem Evangelisch-Sein verbundenen protestantischen Geist der Freiheit und des immer wieder geistlichen und zum Teil auch politischen Denkens, der mir in meinem Elternhaus prägend begegnet ist. Einmal direkt durch das kritische Denken und Verhalten meiner Eltern zu Hause und in der Öffentlichkeit, mitten in einer Diktatur.

Wichtig ist für mich aber auch das Lebenszeugnis meines Großvaters, einem Pfarrer und Mitglied der Bekennenden Kirche in der Nazi-Zeit. Er war wie ein Leuchtturm in der ihn umgebenden, primitiven Geisteswelt von Gewalt und völkischem Hochmut und ein Zeuge für den aufrechten Gang und den notwendigen Widerstand gegen ein kriminelles Unrechtssystem und hat dafür sein Leben gelassen.

Und mein Evangelisch-Sein hat mich mit vielen anderen Theologie-Studenten und Christen auf die Straßen getrieben, um der Freiheit des Denkens, der Demokratie, einen Weg zu bahnen. Das waren sehr wenige Menschen am Anfang, die damit begonnen haben und mit Gewalt und Gefängnis durch die Stasi konfrontiert waren.

Im Stasi-Bus sitzend haben wir damals kirchliche Lieder gesungen auf dem Weg ins Gefängnis. Auch das ist Evangelisch-Sein. Es breitet sich die unerschöpfliche, evangelische Tradition aus, die von der Musik (Johann Sebastian Bach), Dichtkunst (Paul Gerhardt, Gotthold Ephraim Lessing, dem Pfarrerssohn aus dem sächsischen Kamenz, und Martin Luther selbst) und der Bildenden Kunst (Vater und Sohn Cranach) ausgegangen sind.

Und noch etwas:  Durch Martin Luthers bahnbrechende Erkenntnis, dass jeder Mensch vor Gott mit leeren Händen dasteht und nur auf Gottes gute Gaben angewiesen ist, gibt es dieses unmittelbare Zusammensein von mir mit Gott und von Gott mit mir, garantiert durch den großen Mediator Jesus Christus. Da braucht es für meinen Glauben keine Institutionen (mit all ihren Gefahren), keine menschlichen Mittler, keine kirchlichen Ordnungen. „Ich in Dir, Du in mir“. Dieses Wort gerade auch in der Meditation, ist tragend in meinem evangelischen Leben. Kirche an sich ist nicht die zentrale Autorität, sondern Christus selbst ist der entscheidende Leiter der Gemeinde und der Maßstab.

Aber natürlich gehören „mündige“ (Bonhoeffer) Christen auch in die Struktur aller evangelischen Kirchen: statt Autoritäten (Priesteramt) sind demokratische Strukturen konstitutiv mit Laien und Wahlen und Frauen auf allen Ebenen. Aber auch das vorbehaltlose Annehmen jeglicher Lebensentwürfe und Individualitäten, auch zum Beispiel von gleichgeschlechtlichen Paaren, sind entscheidend für mein evangelisches Verständnis vom Gott der Liebe.

Genauso wie die Grundlage der Bibel und das Ringen um die Texte darin ein großer Gewinn des Protestantismus im Gegensatz zu menschengemachten Traditionen. Diese Grundlage kann uns schützen vor allzu Menschlichem, das sich manchmal davorschiebt.

Die Verantwortung für das Geschenk des Glaubens wird uns nicht abgenommen, sondern sie bleibt beim einzelnen Menschen an seiner Stelle vor Ort als Christ.

Joachim Krätschell


Weltweite Gemeinschaft

Drei Wochen nach dem errechneten Geburtstermin wurde ich in einem katholischen Krankenhaus geboren. Die Schwestern dort wollten mich unbedingt am Tag nach der Geburt taufen. Meine Mutter, evangelisch, weigerte sich, mich katholisch taufen zu lassen. So wurde ich später evangelisch getauft. Wofür ich sehr dankbar bin.

Aufgewachsen bin ich in einer Familie, deren Angehörige den unterschiedlichsten Glaubensrichtungen angehörten. Mein Vater und dessen Familie katholisch, eine Großmutter neuapostolisch. So kam ich in den Genuss, an den unterschiedlichsten Gottesdiensten teilhaben zu dürfen.

Geprägt hat mich vor allem der Religionsunterricht in der Oberschule. Aber auch die Gespräche und Diskussionen über die unterschiedlichen Glaubensrichtungen in der Familie als auch im Freundeskreis.

Wann immer sich die Gelegenheit ergibt, besuche ich während meiner Reisen wenigsten einen Gottesdienst. Egal ob in Nordfriesland, Bayern, Italien oder Tansania. Und während die Gemeinde gemeinsam singt, das Glaubensbekenntnis und das Vater unser spricht, fühle ich mich aufgenommen, geborgen und verstanden. Dabei spielt die Sprache keine Rolle. Allein die Sprachmelodie und der Rhythmus der alten Texte gibt mir die Gewissheit zu einer Gemeinschaft dazu zu gehören, die nicht an der Stadtgrenze endet.

Hildegard Schumann

Gleiche Rechte für Frauen

Evangelisch-reformiert oder römisch-katholisch – das war in der an der Grenze zu den Niederlanden gelegenen Grafschaft Bentheim in den Fünfziger- und Sechzigerjahren eine Identitätsfrage. So war meine Kindheit vom Bewusstsein geprägt, evangelisch-reformiert zu sein. Ich war jedes Mal beeindruckt, wenn der Pastor im Sonntagsgottesdienst gemäß reformierter Tradition von der Kanzel die Zehn Gebote verlas und das mit einer Leidenschaft tat, als habe er die Gebote gemeinsam mit Moses am Sinai erhalten. Zu Hause stellte mich auf einen Hocker und predigte meinen Puppen mit ebensolcher Leidenschaft. Der Berufswunsch Pfarrerin mag hier seine Wurzeln haben. 

Die Grafschaft Bentheim war überwiegend evangelisch-reformiert. Die katholische Minderheit lebte hauptsächlich im Wallfahrtsort Wietmarschen. Dem netten Verkäufer, der von dort mit seinem Brotwagen in unser Dörfchen kam, erklärte ich auf seine Frage, ob ich am Wochenende zum Karussellfahren nach Wietmarschen käme, im Brustton der Überzeugung: „Nein, auf eine katholische Kirmes gehe ich nicht!“ Wir Evangelischen beneideten die katholischen Mitschülerinnen um die weißen Kommunionskleider und Blumenkränzchen. Und sie beneideten uns, weil wir auch in der Fastenzeit Süßigkeiten essen durften und nicht beichten mussten. Mir gefiel die Klarheit des evangelisch-reformierten Gottesdienstes, der - fest in der Welt verankert - ohne Prunk und „Hokuspokus“ wie Glöckchen, Weihrauch und eine unverständliche Sprache auskam. Die Messe wurde damals ja noch in Latein gelesen. Mich beeindruckte, dass der Pastor, der mich konfirmierte, Kriegsdienstverweigerer beriet, deren Gewissensentscheidung noch von einem staatlichen Ausschuss überprüft wurde. Und im evangelischen Religionsunterricht bekamen wir erste Einblicke in die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Glauben. Gerne evangelisch bin ich auch, weil meine Kirche durch Synoden geleitet wird, freie Diskussionen über Glaubensinhalte möglich sind und - nicht zuletzt - Frauen alle Ämter bekleiden können.

Jutta Schreur

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