Der Zweite Weltkrieg

Nach schweren Luftangriffen gleicht die Kirche einem Trümmerfeld. Im Altarraum ist ein Loch in die Außenwand gerissen worden.

Mit Beginn des Krieges verschlechtern sich die Lebensbedingungen für Juden im NS-Staat erheblich. 1932 lebten in Wilmersdorf 26.607 Menschen jüdischen Glaubens, das waren 13,6 % der Bevölkerung, 1938 sind es noch 6,7% und 1945 leben in ganz Berlin noch 7000 jüdische Menschen.

Die Zahl der getauften Juden ist unbekannt. Auch Christen mit jüdischen Vorfahren gelten bei den Nazis bereits seit den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 als Juden und unterliegen den gleichen Schikanen und Verfolgungen wie die jüdischen Mitbürger. Leider hat sich die offizielle Kirche während der Zeit des Nationalsozialismus nicht gegen die Judenverfolgungen eingesetzt. Nur Teile der Bekennenden Kirche haben illegale Anstrengungen unternommen, insbesondere getaufte Juden zu retten (z. B. durch das Büro Grüber [25]) und nach der Pogromnacht am 9. November 1938 hat immerhin wenige Kilometer von hier in Dahlem Helmut Gollwitzer in seiner Predigt ausgerufen:

„Nun wartet draußen unser Nächster, notleidend, schutzlos, ehrlos, hungernd, gejagt und umgetrieben von der Angst um seine nackte Existenz, er wartet darauf, ob heute die christliche Gemeinde wirklich einen Bußtag begangen hat. Jesus Christus wartet darauf!“ [26]

Anders im Wilmersdorfer GKR. Als im September 1941 alle Juden zum Tragen des Judensterns gezwungen werden, ist im Protokollbuch des Gemeindekirchenrates folgende Reaktion zu lesen:

Auch die Orgel ist zerstört worden.

Der Älteste Barthold beantragt, Juden, auch wenn sie Christen sind, aber das jüdische Abzeichen tragen, nicht zum evangelischen Gottesdienst zuzulassen. Der Vorsitzende berichtet persönlich über das Verfahren, nach dem die meisten Pfarrer in diesem Fall seelsorgerisch mit diesen jüdischen Christen verhandeln. Eine Entscheidung durch den Gemeindekirchenrat wird nicht beschlossen. “ [27]

Der Antrag nimmt nicht Wunder, sind doch in vielen Gemeinden in ganz Deutschland ähnliche gestellt worden. So findet sich im Bericht des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 24.11.1941 über die Auswirkungen des „Judenstern-Erlasses“ folgender Passus:

„Nach dem Inkrafttreten der Verordnung wurden an den darauffolgenden Sonntagen verschiedene Kirchenbesucher bei ihren Ortsgeistlichen vorstellig. Sie verlangten, daß die Juden nicht mehr die gemeinsamen Gottesdienste besuchen dürften und dass man von ihnen nicht verlangen könne, daß sie neben einem Juden die Kommunion empfangen sollen.“ [28]

Erfreulich ist, dass es in Wilmersdorf keinen Beschluss zu diesem Antrag gab, ein Hinweis auf die in Kapitel 8 beschriebene Neutralitätspolitik zahlreicher GKR-Mitglieder – immerhin!

Blick in den zerstörten Altarraum

Im Jahre 1943 stirbt Pfarrer Max Ulich. Anhand der Bemühungen um einen Nachfolger lässt sich die schwierige Situation des Gemeindekirchenrates aufzeigen. Im Protokollbuch des GKR Wilmersdorf findet sich am 1.5.1944 folgende Eintragung:

Zu der heute erfolgenden Wahl eines Pfarrers in die 13. Pfarrstelle Berlin-Wilmersdorf  war der Gemeindekirchenrat rechtzeitig und ordnungsgemäß einberufen. Der Superintendent des Kirchenkreises in Berlin-Lichterfelde, Diestel, hat durch ein Schreiben vom 12. April 1944 den Vorsitzenden des GKR Pfarrer Kaiser mit der Wahl beauftragt.  Dieser stellt fest:

Die Vollzahl des GKR beträgt in Friedenszeiten: 31

Durch den Tod fallen aus Mitglieder des GKR:    2

Durch Einberufung in den Heeresdienst. 4

Durch Evakuierung aus Berlin: 7

Unbesetzt ist:  1

Im ganzen fallen aus: 14

Übrig bleiben:    17

Nach der Verordnung zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit kirchlicher Körperschaften vom 13.  Oktober 1939 ist der GKR auch dann beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der übrigen Mitglieder anwesend sind.  Die Hälfte beträgt 9, anwesend sind 15, die Wahl kann rechtmäßig erfolgen.“ [29]

Kuppel und Fenster wurden ebenfalls schwer beschädigt

Während über die Vorgänge innerhalb des GKR nicht sehr viel in Erfahrung zu bringen ist, gibt es über die Beschädigungen an der Hochmeisterkirche und dem Gemeindehaus in der Paulsborner Straße ausführliche Berichte.  Wie aus den Notizen von Pfarrer Kaiser hervorgeht, wird die Kirche bereits 1941 zum ersten Mal beschädigt.  Der Schaden begrenzt sich allerdings auf das vordere große Fenster an der Taufsteinseite, die Apostelbilder in den Nischen und den eingedrückten Rahmen des Fensters über dem Eingang.  Dieses Fenster wird bei der Nachkriegsrenovierung einfach zugemauert und existiert heute nicht mehr. Weitaus schwerwiegender ist der Schaden, der während eines Bombenangriffs am 1. März 1943 entsteht. Die pathetischen Erinnerungen von Pfarrer Zunkel (hier auszugsweise wiedergegeben) wurden in den 50er Jahren im ‚Wilmersdorfer Gemeindebuch’ veröffentlicht:

Wir schrieben den 1. März 1943. …Fliegerwetter sagte ein Bekannter, als ich ihm, von einem Krankenhausbesuch heimkehrend, in der sechsten Nachmittagsstunde begegnete. Er hatte Recht. Immer erschreckender bekamen wir Berliner die Angriffe der stärker werdenden feindlichen Luftmacht zu spüren. … Vom Turm der Hochmeisterkirche hatte die Uhr gerade die achte Abendstunde verkündet, als die Sirenen ihr schrilles Geheul erhoben und der Fliegeralarm uns in die Keller der Häuser rief. … Jeder raffte zusammen, was er tragen konnte, und eilte, so schnell er konnte, in den schützenden Keller. Auch aus den Nachbarhäusern kamen sie, die sich in unserem Gemeindehaus besser geborgen wußten. Nur das Allernotwendigste wurde gesprochen, dann trat tiefe Stille ein. … Die ersten Bomben fielen, sie gingen krachend auch in unserer Nähe nieder. … Stille Gebete stiegen in diesen ernsten Augenblicken zum Himmel empor. Endlich verebbte das laute Getöse.

Auch der Turm wurde getroffen

Schon schien es, als seien wir mit dem Schrecken davongekommen, als der Lufschutzwart unseres Hauses, der sich vor die Flurtür gewagt hatte, aufgeregt in den Keller hinunter rief. ‚Die Kirche brennt! Ohne die Entwarnung abzuwarten eilten wir auf die Straße und sahen mit Entsetzen, wie die Häuser, die unsere Kirche umgaben, in hellen Flammen standen. Ein millionenfacher Funkenregen, von dem starken Westwind angetrieben, ging auf unser Gotteshaus nieder. Es war ein schauriges Bild, das sich uns bot, und jedem stockte das Herz bei dem Gedanken, daß auch die Kirche in Flammen aufgehen könnte. …Sollten wir sie zugrunde gehen lassen? Noch war eins möglich: Ein Übergreifen des Feuers vom Dach der Kirche auf den Turm und das Kirchenschiff verhindern! Und das gelang.  Nach viel stündiger mühevoller Löscharbeit, bei der alle, die mithalfen, ihr Letztes hergaben, wurde der Brand auf den Dachstuhl beschränkt. Der Turm war gerettet und mit ihm das Geläut, auch die Orgel blieb unversehrt, ebenso das Gestühl der Kirche mit Altar, Taufstein und Kanzel. Freilich war diese … eine traurig anzusehende Stätte geworden und nicht mehr geeignet, gottesdienstlichen Zwecken zu dienen.“ [30]

Bei diesem schweren Fliegerangriff auf Berlin wird in Wilmersdorf auch die Grunewaldkirche weitgehend zerstört, die Lindenkirche beschädigt und die Fenster der Auenkirche zertrümmert.  Im Herbst des Jahres 1943 beschädigen Bomben das Dach des Gemeindehauses in der Paulsborner Straße.  Da die Kirche als Gottesdienstraum nicht mehr benutzbar ist und es kriegsbedingt kein Baumaterial für zivile Baumaßnahmen gibt, wird die Holzdielung aus der Kirche heraus gebrochen, um das Dach des Gemeindehauses notdürftig zu reparieren.

Am 14.2.1944 wird das Gemeindehaus und dabei besonders die Etagen mit den Pfarrwohnungen schwer getroffen.

Am 14.  Februar 1944 wird das Gemeindehaus noch einmal von Fliegerbomben getroffen.  Diesmal ist nicht nur das Dach schwer beschädigt, sondern auch die beiden oberen Stockwerke, in denen die Pfarrwohnungen liegen.  So müssen die Pfarrer der Hochmeisterkirche in Notquartiere umziehen. Erhalten bleibt während des ganzen Krieges der Hochmeistersaal, in dem seit März 1943 notgedrungen die Gottesdienste stattfinden müssen.  Bis zur späten Wiedereinweihung im Jahre 1958 bleibt dies die einzige Gottesdienststätte in Halensee.  In der Nachkriegszeit wird der Hochmeistersaal zudem ein viel genutzten Konzertsaal.

Fast 10 Jahre lang dominierte der Anblick der zerstörten Kirche die Westfälische Straße.

In den beiden letzten Jahren des Krieges wird die bereits unbenutzbare Kirche durch die sich häufenden Luftangriffe weiter in Mitleidenschaft gezogen.  Im Kampf um Berlin in den letzten Wochen vor der deutschen Kapitulation liegt der Bereich der Hochmeisterkirche wie fast die ganze Stadt unter Artilleriebeschuss.  Wenige Tage vor dem Ende des Krieges wird das Turmdach der Kirche durch Granaten zerstört.

In den Notizen von Pfarrer Kaiser finden sich unter der Jahreszahl 1945 wenige Anmerkungen: „25.  April letzte Bibelstunde vor 20 Getreuen. 29.  April Sonntag 4 Uhr. Katastrophe: schwerste Beschädigung der Kirche und des Gemeindehauses (dritte Beschädigung).  Meine Wohnung erst Schweidnitzerstr. 2, dann Paul-Gerhardt-Zimmer des Gemeindehauses und zuletzt in der unteren Küsterwohnung.“ [31]

Und Pfarrer Zunkel schreibt zu den letzten Kriegstagen:

Es soll aber noch gesagt werden, daß Kirche und Gemeindehaus wüste Stätten geworden waren und nichts mehr an ihren einstigen Glanz erinnerte.  Wir standen vor Trümmern und Scherben und hätten in dem Zusammenbruch dieser Tage verzweifeln müssen, wenn uns nicht eins gehalten hätte: unser Glaube.

 

25.     Hochmeister Zeitung 08/09 2009, S. 6
26,    zitiert nach Bischof Huber: Predigt im Gottesdienst zum Buss- und Bettag 2002, Pauluskirche Berlin-Zehlendorf.
27.    GKR-Protokoll v. 30.9.1941, Archiv Auenkirche, L245.
28.    Bundesarchiv Berlin, R 58 RSHA, Nr. 166
29.    Sitzungsprotokoll des GKR Wilmersdorf vom 12. April 1944, Archiv Auenkirche, Protokollbücher des GKR.
30.    Friedrich Zunkel: Hochmeisterkirche und Gemeindehaus im Feuer des Zweiten Weltkriegs In: Gemeindebuch der evangelischen Kirchengemeinden des Kirchenkreises Wilmersdorf, Stuttgart 1955, S. 29 ff.
31.    Aus den Notizen von Pfarrer Kaiser, Archiv Hochmeisterkirche.

 

Fortsetzung: Die Nachkriegszeit